Ich habe keine Katze (ein Gedicht mit vielen Klammern)
Ich habe keine Katze
(noch nicht mal einen Hund).
Das mag Sie überraschen,
bin ich doch
(a) alleinstehend
(b) kinderlos und
(c) weiblich.
Ja, fehlt mir denn nicht etwas?
Fragen Sie.
(Weil Sie denken,
dass Ihnen etwas fehlen würde.)
Wie einsam.
Denken Sie,
wenn ich allein im Kaffeehaus sitze.
(Weil Sie glauben,
dass Sie einsam wären.)
Um Ihnen zu bestätigen,
dass Sie ihr (selbst definiertes) Glück
kontrollieren können,
brauche ich Charakterschwächen:
Schwierig, neurotisch,
aggressiv, selektiv,
prüde.
(Außer Sie finden mich so hässlich
oder sonstwie unverschuldet unattraktiv,
dass ich keine Charakterschwächen brauche,
und Sie trotzdem aus dem Schneider sind.
Glück gehabt.)
Ich –
ohne Mann, ohne Kinder, ohne Katze, ganz allein –
verrate Ihnen jetzt etwas:
Eigentlich
war ich gerade
ganz zufrieden
mit dem Tag,
mit der Gesellschaft meiner Selbst.
Zufrieden –
bis Sie kamen,
mich zum Objekt Ihrer Angst machten,
und mir mit Ihren Blicken sagten,
was Ihnen selbst fehlen würde.
Vielleicht ist es mit Ihnen selbst auch nicht so einsam wie Sie denken.
Protagonisten
Menschen,
die in Geschichten berühren,
sind genau jene,
die in sozialen Realitäten
oft keinen Platz finden.
Wer ausgeschlossen wird,
weil das Angepasstsein nicht entspricht,
kann also immer noch
Protagonist/in im eigenen Leben bleiben.
Durchrase sie langsam, die runde Ecke
Sei glücklich.
Und wenn du’s nicht bist,
werde glücklich.
Die Welt ist sicher
(?)
sagt deine Therapeutin.
Die Bomben weit weg.
Und Hitler lange tot.
Sei frei, flexibel, spontan.
Und plane deine Karriere.
Geh deinen Weg.
Aber ohne Loch im Lebenslauf.
Sei rational.
Glaube nichts,
außer deinen Augen.
Und der Naturwissenschaft.
Sei tolerant.
Aber Religion ist dumm.
Sei individuell, heb dich ab.
Aber sprich bloß nicht mit dir selbst.
Sei effizient.
Aber chill einmal.
Sei glücklich.
Und wenn du’s nicht bist: werde glücklich.
Wieso bist du nicht glücklich?